STAMM WALDLÄUFER

Geschichte

WIE ALLES BEGANN...

Die Gründung des Stammes Waldläufer war eher Zufall als Absicht. Horst Hofmann und Franz Wurdack hatten sich damals in der beginnenden Jugendarbeit in Grafenwöhr engagiert. Irgendwann im Mai 1950 war eine Besprechung angesetzt. Als Horst und Franz hierzu ankamen, stellten sie fest, dass sie nicht nur die Ersten waren, sondern wohl auch die Einzigen bleiben würden. Etwas enttäuscht und frustriert beschloss man, die Sitzung ausfallen zu lassen und ins Kino zu gehen. Dort traf man dann die anderen Mitglieder der „Jugendarbeit“. Horst und Franz waren sich einig, dass dies nicht die Mentalität war, mit der sie Jugendarbeit gestalten wollten. Nach einigem Überlegen beschlossen sie, eine eigene Gruppe zu gründen, eine Pfadfindergruppe. Die Gründung fand im Gasthof Specht noch im Mai 1950 statt. 

Für die Jugendarbeit in Grafenwöhr war dies ein Novum, so gab es bis dahin noch keine interkonfessionelle Jugendarbeit. Bisher war die Jugendbewegung nach Konfessionen getrennt gehalten worden. Der Umstand der Interkonfessionalität schuf auch prompt das erste Problem, den der damalige Stadtpfarrer, Ludwig Schmidt (den älteren Grafenwöhrern auch als „Monsignore“ bekannt), witterte in der Konfessionslosigkeit eine „Gefährdung“ der Jugend und der Moral und „schritt dagegen ein“. Eine seiner Forderungen war, das die Pfadfinder ihr Programm vorlegen sollten und er sich die Genehmigung vorbehielt. Allerdings ließ sich Horst nicht von seiner Idee abbringen. Nachdem er die Eltern der damaligen Pfadfinder persönlich aufgesucht hatte und seine Vorstellungen erläuterte, hatten diese einer weiteren Mitgliedschaft ihrer Söhne bei den Pfadfindern nichts einzuwenden. Es folgten noch mehrere Streitgespräche mit dem Pfarrer, bis dieser seine Versuche, die Pfadfinder und deren Programm zu kontrollieren, einstellte. Allerdings wetterte der Pfarrer bis in die 70er Jahre hinein gegen die Pfadfinder von der Kanzel aus.

Ein weiteres Problem ergab sich daraus, dass nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der HJ mit den Pfadfindern wieder eine uniformierte Jugend in Grafenwöhr auftrat und Begriffe wie „Führer“ und „Gau“ verwendete. Zwar hatten die Grafenwöhrer in jenen Tagen kein Problem damit, den ehemaligen Leiter des HJJungvolkes zum Stadtjugendring-vorsitzenden zu wählen, jedoch erforderte es von den Pfadfindern um Horst viel Geduld und Kraft, um den Grafenwöhrern zu vermitteln, dass hinter den Begriffen und „Uniformen“ andere Werte standen als zu Zeiten der Diktatur. Andererseits waren es gerade diese „Angriffe“ von außen, welche auch das Zusammengehörigkeitsgefühl des jungen Grafenwöhrer Pfadfinderstammes stärkte. 

Im Jahre 1952 unternahm der Stamm seine erste Auslandsfahrt: Die Schweiz mit Zürich war das Ziel. Damals wurde bei den Pfadfindern übrigens noch getrampt. Die einzige Art und Weise, günstig voran zu kommen. 

Unser Gründer Horst Hofmann im Alter von ungefähr 40 Jahren

Im Jahre 1955 hatte unser Stamm einen ersten öffentlichen Auftritt mit der Einweihung des Gedenksteines für die Opfer der Heimatvertriebenen, welcher sich vor dem Friedhofseingang befindet. Es waren zwei Pfadfinder der Waldläufer, welche den Stein enthüllten. Für viele der Jugendlichen unseres Stammes ein bewegender Moment, stammten doch nicht wenige aus den deutschen Ostgebieten Sudetenland, Pommern, Schlesien und Ostpreußen. Viele von ihnen hatten durch Flucht und Vertreibung selbst Angehörige verloren. Seit diesem Auftritt wurde der Stamm in der Stammeschronik als „Stamm Waldläufer“ bezeichnet. 

Unser Stamm erlebte auf seinen Fahrten viele Geschichten und Abenteuer. Im Jahre 1954 nahm unser Stamm am Pfingstlager des Landesverbandes „Gau Bayern“ bei Landshut statt. Die 160 Kilometer lange Strecke bewältigten die 10 Grafenwöhrer Waldläufer übrigens mit dem Fahrrad. Während des Lagers entschloss sich eine große Gruppe Landshuter Jugendlicher, bei den Pfadfindern in der Nacht „ein paar Fahnen zu erbeuten“. 

Die Pfadfinder, alles stämmige selbstbewusste Naturburschen, setzten sich aber äußerst heftig zur Wehr. Es entstand alsbald eine deftige Keilerei, die erst ihr Ende fand, als von einer nahe gelegenen amerikanischen Radarstation eine Streife der Militärpolizei anrückte. Übrigens: Einer der „Angreifer“ wurde später am Lagerrand bewusstlos gefunden. Für alle ein unvergessliches Lager. 

Bei den Fahrten erlebten die Waldläufer auch immer wieder Weltgeschichte: Als man 1956 eine Großfahrt nach Österreich machte, erlebte man den Abzug der letzten Amerikaner und Russen, die aufgrund des Staatsvertrages die Alpenrepublik verließen. Oder die Sputnik! Dieser erste Satellit, den die Russen ins All geschossen hatten, wurde von unseren Pfadfindern während einer Fahrt am Himmel entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt wusste man aber noch nichts von dem Erfolg der Russen, so dass man das merkwürdige blinkende Objekt für ein UFO hielt.  

Einen Höhepunkt erlebten wir Waldläufer im Jahre 1957, als wir zum Jubiläumsjamboree (Weltpfadfindertreffen) nach England fuhren. Dieses Treffen gedachte sowohl dem 100. Geburtstag von Lord Robert Baden-Powell, dem Gründer der Pfadfinderbewegung, als auch dem 50. Jahrestag der Gründung der Pfadfinderbewegung. Viele unserer Jungs konnten sich eine derartige Fahrt allerdings nicht leisten. Um dafür das Geld zu verdienen, wurden Bittbriefe geschrieben: Die Stadt Grafenwöhr spendete, der damalige bayerische Ministerpräsident Dr. Högner spendete, und viele mehr.

Letztendlich kam die Summe von 1.000 Mark zusammen. Zum Vergleich: Eine Semmel kostete damals 5 Pfennige (2,5 Cent). Das Jamboree selbst wurde ein großer Erfolg und ein gewaltiges Erlebnis für die Grafenwöhrer Waldläufer. Unter den 30.000 Teilnehmern befand sich auch der britische Thronfolger Prinz Charles sowie Olave Baden-Powell, die Frau des Gründers. Unter den 50.000 Besuchern war auch ihre Majestät, Queen Elisabeth II sowie Sir Edward Heath, damals Premierminister von Großbritannien.  

Das Bild zeigt den Einmarsch der Delegationen am Jubiläumsjamboree 1957 in Sutton Coldfield, England. Unter den 30.000 Teilnehmern des 9. World Jamboree waren auch die Waldläufer aus Grafenwöhr. 

DIE ERSTEN GRUPPENSTUNDEN...

Die ersten Gruppenstunden fanden in der 1894 errichteten Lourdes – Grotte am Annaberg statt. Alsbald konnten die Waldläufer in Baracken umziehen, welche die US Armee für die Jugendbewegung zur Verfügung gestellt hatte. Diese fiel dann der Erweiterung des TUS-Sportheim zum Opfer. (Anm.: Das TUS-Sportheim wurde bereits vor Jahren wieder abgerissen, das Gelände beherberg heute einen Supermarkt).

Um ein eigenes Domizil zu haben, bat man die Stadt Grafenwöhr um Hilfe. Dank der Unterstützung des damaligen Bürgermeister Walter Asam erhielt man ein Gelände über der Naturbühne zur Verfügung gestellt, auf dem man ein eigenes Heim bauen konnte. Das Heim wurde im Dezember 1968 eingeweiht.

EIN EIGENES HEIM...

Das Bild zeigt den Bau des heutigen Pfadfinderheimes am Schönberg im Jahre 1968.  Insgesamt wurden für den Bau 1.936 unbezahlte Arbeitsstunden durch unsere damaligen Mitglieder geleistet. 

Einer unserer heutigen Mitglieder kommentierte das Bild mit den Worten „ich habe unser Heim noch nie so sauber gesehen…“

Viele Dinge gingen für die „Waldläufer“ damals recht reibungslos von statten, da der Vater von Horst eine Legislaturperiode als Stadtrat in Grafenwöhr diente und dort die Interessen der „Waldläufer“ vertrat. 

TRADITIONEN "ERFINDEN"...

Das Johannisfeuer gehört zum festen Bestandteil von Grafenwöhr und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Stadtjugendring ausgerichtet. Nachdem das Interesse Ende der 1980er Jahren nachgelassen hatte und manchmal das Abbrennen nur im Beisein der Feuerwehr stattfand, übernahmen die Waldläufer die Organisation im Jahre 1990 im Auftrag des Stadtjugendringes eigenverantwortlich. Die Wiederbelebung gelang uns, und schon bald konnten wir das Johannisfeuer vor einem Publikum von etwa 200 Personen abbrennen. 

Eines unbekannten Jahres vor der Jahrtausendwende errichteten wir einen Feuerstoß wie im Bild zu sehen. Als Füllmaterial des „Blocks“ nahmen wir, was greifbar war, unter anderem einen alten Stuhl. Dieser konnte sich aber aus unerklärlichen Gründen beim Aufbau dem „Zugriff“ entziehen und blieb übrig. Aus Jux stellten wir den Stuhl nun auf die Spitze des Stoßes. 

Etwas erstaunt lasen wir einige Tage später im „Neuen Tag“, dass es sich hierbei um einen alten Grafenwöhrer Brauch handelte – so entstehen Bräuche. Seit Jahren pflegen wir nun diesen Brauch.  Lediglich im Jahre 2010 gab es kein Johannisfeuer – wir hatten keine Stühle mehr…

Text von Bernd Wohlgut, gekürzt durch Sophie Schaffland